„Junge Spieler brauchen individuelles Training und Einsatzzeiten“

Nachwuchstrainer Martin Heuberger im Interview zum deutschen Handball-Nachwuchs und seinem zukünftigen Weg

Es war der fünfte Titel für Martin Heuberger als Nachwuchstrainer im Deutschen Handballbund – und das EM-Turnier der U19 in Kroatien im Sommer 2021 wird dem Schwarzwälder noch lange in Erinnerung bleiben, weil es so ungewöhnlich war – nicht nur, weil es erst sehr kurzfristig angesetzt wurde. Am Ende gewann die deutsche Mannschaft um die Allstar-Spieler David Späth und Renars Uscins Gold durch ein 34:20 gegen Gastgeber Kroatien im Finale.

Welche Schlüsse zieht der Junioren-Bundestrainer aus diesem Turnier? Was wünscht er sich für die künftige Zusammenarbeit mit den Vereinen? Und an welchen Stellschrauben muss gedreht werden, damit aus diesen Talenten langfristig Erstliga-Spieler und A-Nationalspieler werden? Dazu äußert sich Martin Heuberger in diesem Interview.

Martin Heuberger, mit etwas Abstand – haben Sie den sensationellen EM-Titel schon so richtig realisieren können?
Martin Heuberger: Ich habe viele Turniere erlebt, aber das war die größte Herausforderung, die ich jemals hatte. Wir bekamen am 14. Juli quasi eine für uns komplett neue Mannschaft, haben mit diesen Spielern dann erstmal richtig trainieren können. Es folgten vor und während des Turniers viele Verletzungen von Leistungsträgern – aber dann entstand ein unglaublicher Teamspirit. Jeder ist für den anderen in die Bresche gesprungen, die Jungs haben die Erwartungen mehr als erfüllt. Die Erfahrung, die sie jetzt bei dem Turnier gemacht haben, ist super, natürlich noch besser, wenn du den Titel gewinnst. Aber es hätte eben auch ein Ergebnis zwischen Platz sechs und acht sein können, es waren ja auch enge Spiele dabei, wie gegen Dänemark und Spanien. Dieser Titel ist natürlich auch das Ergebnis der guten Arbeit und Zusammenarbeit mit den Leistungszentren, den Landesverbänden und den Heimtrainern. Die ist in den letzten Jahren viel besser geworden:

Welche Schlüsse ziehen Sie für die Zukunft?
Martin Heuberger: Wir haben bereits mit der Analyse der EM begonnen, da wird es natürlich Hausaufgaben für die Heimtrainer und die Spieler geben. Jetzt folgt der Übergang, wo die Jungs sich unter Profibedingungen im Seniorenbereich messen können und sollen. Ich hoffe, dass alle Spieler nun auch ihre Einsatzzeiten bekommen, speziell natürlich in den entscheidenden Phasen eines Spieles, dass sie dann auf dem Feld stehen, wenn es drauf ankommt.

Warum ist dieser Übergang in Deutschland so schwierig? Was sind Ihre Erfahrungen?
Martin Heuberger: Die Spieler sind in der Jugend sehr gut und mit führend in Europa und der Welt, aber beim Übergang in den Seniorenbereich überholen uns oftmals andere Länder, weil die Spieler dort viel früher und viel öfter in der ersten Liga eingesetzt werden und dort Verantwortung übernehmen können. In Deutschland versauern die Talente zu oft auf der Bank. Es muss ja nicht immer nur die 1. Liga sein, bei einem guten Zweitligisten sind die Spieler auch gut aufgehoben, wenn sie dort ihre Spielzeit bekommen. Die 3. Liga ist für die Top-Talente nur bedingt  geeignet, die Spieler zu entwickeln, denn es geht beim Übergang in den Seniorenbereich ja auch darum, dass sie konstant auf hohem Niveau im Training gefordert werden, das ist in Liga 3 schon schwierig, was den Leistungsgedanken und das Niveau der Mitspieler betrifft. Neben den Einsatzzeiten muss es eine individuelle Trainingsarbeit mit den Talenten geben, um die Potenziale zu entwickeln, was zum Beispiel die Technik und Athletik betrifft, aber auch um die Spieler darauf vorzubereiten, in Stresssituationen die richtigen Entscheidungen zu treffen und das Potenzial auch unter Druck abzurufen.

Wie wichtig ist bei diesem Übergang die Erfahrung des EM-Titels für jeden einzelnen Spieler?
Martin Heuberger: Die EM in Kroatien hat bewiesen, dass sie gegen Gleichaltrige diesem Druck mehrfach richtig toll standgehalten haben, dieses Turnier war auch unter diesem Aspekt ein toller Lerneffekt für jeden. Ich hoffe, dass sie nun auch in den Vereinen genauso weiterarbeiten können, um neben gestandenen Spielern ihre Rolle zu finden. In unseren Strukturen haben wir sie weiterentwickelt, nun wartet die nächste Stufe.

Gehen die Vereine den von Ihnen gewünschten Weg mit?
Martin Heuberger: Ich habe ein gewisses Umdenken bei den Klubs bemerkt, das geht in die richtige Richtung. Ich verstehe natürlich zum Teil auch die Vereinstrainer, die stehen unter einem gewaltigen Erwartungs- und Erfolgsdruck, werden nur an den Ergebnissen gemessen. Aber sie müssen auch an die Talente denken, sie einbauen. Wir haben so viele Spieler, die in der Jugend gut ausgebildet sind, dann aber nicht den Durchbruch schaffen, weil sie sich mangels Einsatzzeiten nicht weiterentwickeln konnten. Wir haben mit diesen Spielern bei der EM den ersten Schritt gemacht, nun wollen wir mit den Vereinen diesen Weg weitergehen. Generell hoffe ich natürlich, dass die Vereine künftig noch mehr auf deutsche Nachwuchsspieler setzen, manche Personalentscheidungen kann ich unter diesem Aspekt nicht nachvollziehen.

In zwei Jahren steht für diese Mannschaft als Abschluss Ihrer Nachwuchszeit die U21-Heim-Weltmeisterschaft statt. Haben Sie dieses Turnier bei Ihren Planungen schon im Hinterkopf?
Martin Heuberger: Im Kopf schon, aber bis dahin passiert noch viel. Gerade in dieser Altersklasse gibt es leistungsbedingt oftmals noch viele Wechsel im Kader, einige Spieler machen in ihrer Entwicklung einen Sprung, andere stagnieren. Wir haben gerade in diesen Jahrgängen einen extrem breit aufgestellten Kader. Es kann sein, dass in zwei Jahren sechs, sieben andere Spieler dabei sind als jetzt, oft kommen diese auch aus dem jüngeren Jahrgang. Unsere aktuelle Mannschaft hat mit dem EM-Titel die Messlatte natürlich extrem hochgelegt. Ich bin selbst gespannt wie das weitergeht, auch  bei der U20 EM 2022, um dann mit vollem Elan in die Heim-WM zu gehen.

 

Quelle: dhb.de
Autor: Björn Pazen
Bild: ©IMAGO / Pixsell
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