Vor dem U18/U19-Länderspiel am Sonntag in Schutterwald gegen Frankreich spricht der deutsche Bundestrainer Erik Wudtke über den Lehrgang, das Ziel für das Turnier in Montenegro und die Nachwuchs-Situation im Handball in Südbaden.
Die U18/U19-Nationalmannschaft des Deutschen Handball-Bundes (DHB) bereitet sich in der Ortenau auf die am 1. August in Montenegro beginnende Europameisterschaft der Jahrgänge 2004/2005 vor. Dabei sind zwei Länderspiele gegen Frankreich eingeplant: Am Sonntag, 17.30 Uhr, in der Mörburghalle Schutterwald und am Dienstag, 26. Juli, im elsässischen Haguenau. ,,Frankreich ist vielleicht mit Dänemark die beste Handball-Nation. Da ist es immer eine besondere Herausforderung, sich mit Frankreich zu messen“, freut sich Bundestrainer Erik Wudtke in einem Interview unserer Zeitung und erklärt auch, weshalb der Nachwuchs-Handball in Südbaden ,,ein bisschen“ den Anschluss verpasst hat.
Herr Wudtke, wie kommt es, dass Sie Ihre EM-Generalprobe in Schutterwald machen?
Frankreich hatte uns für zwei Länderspiele im Vorfeld der EM angefragt, da bot sich die Region im Südwesten an. Die Ortenau war naheliegend, da Martin Heuberger unser Delegationsleiter sein wird.
Sie haben ab Donnerstag einen einwöchigen Lehrgang in Offenburg. Wo sind Sie untergebracht?
Wir sind in einem Hotel in Offenburg und trainieren zweimal am Tag in Schutterwald.
Übernimmt dann der TuS den Fahrdienst?
Indirekt. Der TuS stellt uns dankenswerterweise seinen Kombi zur Verfügung. Dazu nimmt sich jedes Zimmer, das sich zwei Jungs teilen, ein Leihfahrrad. Die stehen natürlich nicht vor dem Hotel, das müssen sie sich anhand der App selbst organisieren. Und vielleicht auch früh aufstehen, um an die Räder zu kommen. Und dann entscheiden sie selbst, wer welche Strecke mit dem Rad bzw. dem Kombi fährt. So kommen sie untereinander ins Gespräch und in den Austausch. Für uns ist wichtig, dass sie lernen, sich zu organisieren.
Stehen auch Freizeit-Aktivitäten auf dem Programm?
Die Jungs werden sicherlich auch den Schutterwälder Baggersee nutzen, um sich von der südbadischen Sonne abkühlen zu lassen. Zudem ist eine kleine Wanderung zu einer Hütte im Schwarzwald geplant. Da werden sie unten rausgelassen und müssen den Weg nach oben selbst finden. Diese Aktion ist für uns sinnbildlich: Wir gehen in diese EM in Montenegro gemeinsam als Seilschaft.
Sie kennen sich in der Gegend gut aus!
Ich bin mindestens einmal im Jahr zu einem Lehrgang in der Sportschule in Steinbach, zudem ist Martin Heuberger nicht nur ein Kollege, sondern auch ein Freund, Man kennt die Region mit Vereinen wie Hofweier, Schutterwald oder Willstätt aus Zeiten, als Bundesliga noch in Schulsporthallen gespielt worden ist. Und Südbaden ist die Region der Bundestrainer.
Aber sie ist nicht mehr die große Handball-Region!
Ja, diese Zeiten sind vorbei. Südbaden hat ein bisschen den Anschluss verpasst, als andere Internatsstrukturen und Leistungszentren entwickelten. Diese Trainingsumfänge kann Südbaden im Moment nicht erreichen. Talente gibt es genauso viele wie in Sachsen, dem Rheinland oder anderswo. Doch ab einem gewissen Zeitpunkt müssen diese Spieler gewisse Trainingsumfänge leisten, um international konkurrenzfähig zu sein. Es gibt ja genügend Talente aus Südbaden, die über die Leistungszentren in die Bundesliga gekommen sind.
Kann es heute noch ein Spieler in die Nationalmannschaft schaffen, ohne in einem Leistungszentrum gewesen zu sein?
Das wäre eine absolute Sensation. Im Handball ist der Trainingsumfang eine der Möglichkeiten, sich von einem gleich guten Spieler zu unterscheiden. Der eine bleibt dann Talent, der andere wird Leistungssportler.
Jetzt bestreiten sie am Sonntag in Schutterwald und am Dienstag in Haguenau zwei Länderspiele gegen Frankreich. Ist das auch bei der Jugend ein Klassiker?
Ja. Frankreich ist vielleicht mit Dänemark die beste Handball-Nation. Frankreich hat ein anderes Ausbildungskonzept. Sie sind relativ früh mit vielen Länderspielen unterwegs, da ist es immer eine Herausforderung, sich mit Frankreich zu messen. Durch das deutsch-französische Jugendwerk gibt es auch immer sehr viel Austausch beider Nationen mit kulturellen Maßnahmen. So kennt man einen Teil der französischen Trainer ganz gut, auch Spiele sind so immer etwas Besonderes.
Was erwarten Sie von Ihrer Mannschaft in Schutterwald?
Was ich erwarte, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, was die Jungs selbst erwarten. Sie sollen die spiel- und mannschaftstaktischen Inhalte, die sie beim letzten Lehrgang kennenlernten, weiterentwickeln, weniger technische Fehler machen, dadurch steigt die Erfolgsquote. Das gilt es in die Spiele gegen Frankreich zu transportieren.
Steht der EM-Kader bereits fest?
Nein. Nach den beiden Spielen muss ich leider zwei Spielern mitteilen, dass sie nicht zur EM fahren werden.
Wird das eine harte Entscheidung?
Ja. Das ist immer eine harte Entscheidung. Die Jungs sind uns ans Herz gewachsen. Jeder empfindet das auch als persönliche Niederlage, da fließen auch Tränen. Da zerplatzt ein Traum, für den sie das ganze Jahr gearbeitet haben. Hinzukommt, dass Spieler coronabedingt beim letzten Lehrgang nicht teilnehmen konnten, die sind jetzt wieder dabei.
Stichwort Corona: Wie sehr hat dieser Jahrgang unter der Pandemie gelitten?
Für die Nationalspieler waren die Einschränkungen überschaubar und in keiner Weise vergleichbar mit den Amateursportlern, für die die Hallen geschlossen waren und die teilweise per Video trainieren mussten. Dieser Generation fehlen aber die Turniere mit der Nationalmannschaft und den Vereinen, die teilweise abgesagt, verkürzt oder abgebrochen worden sind. Da hinken sie ein bis zwei Jahre den anderen Jahrgängen zum selben Zeitpunkt hinterher. Aber das ist Klagen auf hohem Niveau. Leistungssport ist mit dem Amateursport nicht zu vergleichen.
Mit welchem Ziel gehen Sie in das EM-Turnier?
Das kann ich im Moment noch gar nicht sagen. Das Ziel legen wir immer im letzten Lehrgang gemeinsam fest. Das ist auch nicht so sehr von Ergebnissen abhängig. Gut vorstellbar ist aber das erste Ziel: In die Hauptrunde kommen, dann sehen wir weiter.
Sie sind auch Co-Trainer bei Alfred Gislason. Sie trainieren also auf der einen Seite viele gestandene Handballer und auf der anderen Seite junge, aufstrebende Talente. Wie schwierig ist dieser Spagat?
Ich hatte zuvor im Jugend- und Juniorenbereich trainiert. Da war es anfänglich schwierig für mich: Wie gehst du mit etablierten Spielern um? Sie haben es mir aber sehr schnell sehr leicht gemacht. Sie sind offen für Hinweise und haben den Ehrgeiz, sich stetig zu verbessern. Sie fordern sehr viel. Junge Spieler sind da nicht anders. Sie wollen selbstbewusst handeln können, dazu brauchen sie einen Plan, Analysen, Vorbereitung, um das im Training Erlernte im Wettkampf anwenden zu können. Da unterscheiden sich Jugendliche gar nicht so sehr von Erwachsenen.
Erik Wudtke
Erik Wudtke, am 17. Juli 1972 in Aachen geboren, spielte beim französischen Erstligisten US Dunkerque und beim HC Eynatten, mit dem er 2000 sowie 2001 die belgische Meisterschaft gewann. Von 2001 bis 2005 spielte er für Melsungen und führte die Mannschaft als Kapitän in die 1. Bundesliga. Als Trainer stieg er mit dem TuS Ferndorf 2015 in die 2. Bundesliga auf. Anschließend wechselte er zum TSV Bayer Dormagen, wo er bis 2017 als Jugendkoordinator sowie Trainer tätig war. Seit 2015 ist er Jugend-Bundestrainer, seit 2020 auch Co-Trainer der A-Nationalmannschaft.
Quelle: handball.bo.de
Autor: miqua
Bild: Sascha Klahn