Junioren-Bundestrainer Martin Heuberger: Das Viertelfinale ist drin!

Nur 24 Tage nach der Fußball-WM in Katar beginnt die Handball-Weltmeisterschaft 2023 in Polen und Schweden. Junioren-Bundestrainer Martin Heuberger aus Schutterwald traut dem deutschen Team das Viertelfinale zu.

Er glaubt: „Die Zuschauer werden mehr Freude haben als zuletzt beim Fußball.“ Das Turnier beginnt am 11. Januar und endet mit dem Finale am 29. Januar in der Tele2-Arena in Stockholm, die 40.000 Zuschauer fasst. In der Vorrunde trifft die DHB-Auswahl am Freitag auf Katar, am Sonntag auf Serbien und am Dienstag auf Algerien (alle 18 Uhr). Heubergers Highlight im neuen Jahr ist die Junioren-WM in Deutschland vom 20. Juni bis 2. Juli.

Die deutsche Nationalmannschaft beginnt die Handball-WM 2023 mit dem Duell gegen Katar. Eine One-Love-Binde ist dabei wohl nicht zu erwarten …

Ich denke, dass dieses Thema im Handball nicht präsent ist, wie es das beim Fußball war. Im Fußball war Katar als Gastgeberland der Stein des Anstoßes. Im Handball ist Katar in der Vorrunde der WM einer von drei Gegnern unserer Mannschaft. Darauf sind unsere Handballer fokussiert.

Werden uns die Handballer bei ihrer WM mehr Freude bereiten als unsere Fußballer?

Davon gehe ich mal stark aus. Ich hoffe natürlich, dass unser Team die Vorrunde schadlos übersteht – anders als die Fußballer. Wobei im Handball nicht nur zwei, sondern drei von vier Mannschaften weiterkommen, allerdings auch die untereinander erzielten Ergebnisse mitnehmen.

Gegen Katar gab es 2015 das Aus im Viertelfinale und zwei Jahre später sogar den K.o. im Achtelfinale. Muss man von einem Angstgegner sprechen?

Das würde ich nicht sagen. Aber alle Gegner sind ernst zu nehmen. Unsere Mannschaft muss sich auch erst finden mit der kurzen Vorbereitungszeit. Katar hat den Vorteil, dass sie mehr oder weniger das ganze Jahr zusammen sind. Die haben einen relativ schwachen Spielbetrieb und können den Fokus ganz anders auf die Nationalmannschaft legen.

Genau an diesem Punkt sind schon viele Handball-Bundestrainer verzweifelt.

Zuletzt wurde wieder über die Identifikation der Spieler mit der Nationalmannschaft diskutiert, weniger über die Identifikation der Bundesliga mit der Nationalmannschaft. Jedenfalls haben andere Nationen bessere Möglichkeiten. Beispielsweise hat Kroatien schon vor Weihnachten mit der WM-Vorbereitung begonnen, die Franzosen haben sich bereits zwischen Weihnachten und Neujahr getroffen, auch der Spielbetrieb anderer Ligen endete vor Weihnachten. Bei uns aber wurden zwischen Weihnachten und Neujahr noch die zuschauerträchtigen Spieltermine in der Bundesliga wahrgenommen. Das verstehe ich ja. Aber es müsste mehr Zugeständnisse geben. Alfred Gislason hat jetzt wieder nur eine extrem kurze Vorbereitung. Das sind keine optimalen Vorzeichen.

Weitere Vorrundengegner sind Serbien und Algerien. Bundestrainer Gislason strebt den Gruppensieg an. Was erwarten Sie?

Der Gruppensieg wäre schön. Es sind drei machbare Gegner. Wenn unser Team seine Leistung abrufen und sich fokussieren kann, schaffen wir das. Es gab im Vorfeld nur zwei Testspiele gegen die starken Isländer, die müssen reichen, um schnell in den Turniermodus zu kommen.

Gislason hat noch fünf Europameister von 2016 nominiert, dazu Talente wie Julian Köster oder Torwart Joel Birlehm. Stimmt die Mischung im Team?

Ja. Linkshänder Kai Häfner und Torwart Andy Wolff sind sehr erfahren, Kapitän Johannes Golla hat große internationale Erfahrung gesammelt und ist ein Weltklasse-Kreisläufer. Dazu kommen die Youngster wie Julian Köster und Lukas Mertens, der in der Bundesliga gezeigt hat, dass er ein sehr starker Linksaußen ist. Und dann natürlich Juri Knorr als Ausnahmetalent des deutschen Handballs.

Er hat vor einem Jahr die von Corona-Infektionen geprägte EM verpasst, weil er nicht geimpft war.

Wie ich den Medien entnehme, erfüllt er jetzt die Regularien.

Was macht Knorr zum Ausnahmetalent?

Im Angriff seine Individualität, seine ersten zwei Schritte sind extrem explosiv, er hat einen sehr schnellen Armzug mit guten Schlagwurf-Varianten und spielt variabel mit dem Kreisläufer zusammen. In der Abwehr ist Knorr auf der Halbposition einsetzbar. Er hat die spanische Mentalität mit sehr viel Antizipation, klaut Bälle, muss aber noch robuster im Zweikampf werden.

Köster war als Zweitliga-Spieler die Entdeckung bei der EM 2022. Welche Entwicklung hat er seither genommen?

Eine sehr gute. Er ist mit dem VfL Gummersbach in die Bundesliga aufgestiegen und zum Leistungsträger avanciert. Er ist torgefährlich, sieht aber auch den Kreisläufer. Und was ihn besonders stark macht, ist seine Variabilität in der Abwehr: im Innenblock der 6:0-Abwehr oder als Spitze der 5:1-Variante. Das macht ihn sehr wertvoll, auch für die Nationalmannschaft. Er wird noch Fehler machen, aber schnell daraus lernen.

Bei der WM fehlen aber auch Leistungsträger wie Julius Kühn, Timo Kastening, Sebastian Heymann oder Fabian Wiede. Wie schwer wiegt das?

Fabian Wiede nutzt die WM-Pause der Bundesliga, um sich die Weisheitszähne ziehen zu lassen. Jeder muss entscheiden, ob er für Deutschland aufläuft oder nicht. Die drei anderen wären ohne ihre Verletzungen dabei gewesen und hätten wieder gebrannt. Dass mit Kühn und Heymann auf der Königsposition im halblinken Rückraum gleich zwei Leistungsträger ausfallen, ist schade, aber gleichzeitig auch eine Chance für Köster oder Paul Drux, der bei den Füchsen Berlin ordentliche Leistungen abliefert. Wir sind in der Breite sehr gut aufgestellt.

In der Hauptrunde warten vermutlich Norwegen, Nordmazedonien, Argentinen oder vielleicht die Niederlande. Ist Platz zwei machbar, der den Einzug ins Viertelfinale bedeuten würde?

Das ist durchaus drin. Schön wäre, wenn wir schadlos, also mit einem 4:0-Punktepolster, in der Hauptrunde ankommen würden. Nordmazedonien, Argentinien oder Niederlande sind auf Augenhöhe. Norwegen ist eine andere Kragenweite, aber an guten Tagen können wir auch die schlagen. Es könnte reichen, dass Deutschland zusammen mit Norwegen ins Viertelfinale einzieht. Das wäre das, was man unserer Mannschaft zutrauen kann. Und dann könnten wir als Außenseiter vielleicht noch die ein oder andere Überraschung landen.

Kann Dänemark den Titel verteidigen? Superstar Mikkel Hansen hat wegen Herzrhythmusstörungen und einer Lungenembolie lange gefehlt.

Hansen hat einen schwierigen Herbst hinter sich. Ich bin gespannt, inwiefern er wieder bereit ist für eine WM. Aber die Dänen sind so gut besetzt, dass sie sich erlauben können, Michael Damgaard vom SC Magdeburg und Lasse Andersson von den Füchsen Berlin zu Hause zu lassen.

Wie stark ist Frankreich mit dem 38 Jahre alten Denkmal Nicola Karabatic?

Alter ist nicht entscheidend, sondern Leistung. Karabatic kann der Mannschaft noch helfen, deshalb ist er dabei. Frankreich ist individuell sehr stark. Doch als Topfavoriten sehe ich Dänemark.

Und bei Norwegen war Sandor Sargosen 175 Tage lang außer Gefecht wegen zweier Fuß-Operationen.

Ich denke, er ist so weit fit und hat zuletzt den THW Kiel wieder in die Spur gebracht. Es ist davon auszugehen, dass er bei der WM dosiert eingesetzt wird.

Gibt es ein Überraschungsteam?

Ich sage schon jahrelang: Ungarn. Auch Portugal spielt einen tollen Handball. Allerdings fehlt es der Abwehr an Stabilität. Auch Ägypten muss man im Auge haben.

Wo verfolgen Sie die WM?

Daheim am Fernseher und im Internet. Und zwar sehr intensiv, auch Spiele ohne deutsche Beteiligung. Speziell der afrikanische und asiatische Handball sind interessant.

Ihr persönlicher Höhepunkt 2023 wird die Junioren-WM im eigenen Land. Wie stehen die Chancen?

Wir waren mit dem Jahrgang 2002/03 vor zwei Jahren Jugend-Europameister. Letztes Jahr bei der Junioren-EM haben wir unsere optimale Leistung nicht abrufen können und wegen zahlreicher Ausfälle hat es nur zu Rang sieben gereicht. Mit möglichst komplettem Kader können wir bei der Heim-WM vorne ein Wörtchen mitreden, wobei die Konkurrenz noch dichter ist als bei den Männern. Unser Fernziel ist das Halbfinale.

Welche Rolle spielt der Helmlinger Torwart Lasse Ludwig, der beim Bundesliga-Tabellenführer Berlin erste Einsätze hatte?

Lasse hat in Berlin eine sehr gute Entwicklung genommen und vor allem mit seinem Doppelspielrecht in der 2. Liga mit Potsdam viel Spielpraxis gehabt. Das hat sich ausgezahlt. Er ist sehr zielstrebig und leistungsorientiert. Er war beim Titelgewinn 2020 Eckpfeiler und könnte es auch bei der Junioren-WM werden.

 

Quelle: handball.bo.de
Autor: Thomas Kastler
Bild: Gemeinde Lautenbach